Mehr Raumerlebnis dank Lichtplanung

Die Lichtführung bei Neu- und Umbauten will wohl geplant sein – am besten möglichst früh

Licht ist als Teil der (innen)architektonischen Planung eine eher unterbelichtete Größe, die zum späteren Wohlfühlen in den geschaffenen Räumlichkeiten jedoch maßgeblich beiträgt. Ohne technisch fundierte Lichtplanung bleibt das künftige Lichterlebnis ein Zufallsprodukt und unter den Möglichkeiten, die Räume bieten.


Wer in Innenräumen oder im Außenbereich eine angenehme Atmosphäre schaffen will, ist immer auch auf passendes Licht angewiesen. Und doch ist bei der Gebäudeplanung das Licht oft ein vernachlässigter Faktor, der teils erst zum Schluss berücksichtigt wird. So die Erfahrung der Überlinger Innenarchitekten Ruth und Werner Günther, die sich dem Phänomen Licht seit Studienzeiten intensiv widmen. Die damalige Mitarbeit bei Johannes Dinnebier – dem Altmeister der Lichtplanung hierzulande – inspiriert bis heute das eigene Schaffen, das die Lichtberatung für Bauherren und Architekten umfasst.

Lichtplanung ist so ziemlich das Gegenteil dessen, wie die Baupraxis mit dem Thema Licht oft umgeht: Hier überlegen die Eigentümer eines Neubaus erst nachträglich, welche Lampen am besten passen könnten. Dort plant der Elektriker bei der Elektroinstallation die Beleuchtung „mal eben“ mit und besorgt Leuchten, die er kennt. Doch professionelle Lichtplanung sieht anders aus.


Die Halogenleuchter im Überlinger Rathaussaal fallen kaum auf – genau das war eine der zahlreichen Anforderungen an die neue Beleuchtung im historischen Saal.
Die Halogenleuchter im Überlinger Rathaussaal fallen kaum auf – genau das war eine der zahlreichen Anforderungen an die neue Beleuchtung im historischen Saal.

Viele Fragen machen den Anfang, wie Ruth Günther verdeutlicht: „Wo muss Licht hin, was genau wollen Sie beleuchten? Welche Licht- stimmung und Lichtfarbe, welche Lichtqualität bestimmt den Raum? Welche Wirkung wünschen Sie? Sollen die Leuchten sichtbar sein oder nur das Licht? Und zu welchen Zeiten wird der Raum wofür genutzt?“ Haben die Innenarchitekten die Lichtsituation und die Wünsche der Bauherren oder Architekten erkannt, erarbeiten sie Beleuchtungsvorschläge. Das erfordert Wissen über die verfügbaren Lichttechnologien, Beleuchtungskörper, Leuchtmittel und deren Dimensionierung, aber auch die Erfahrung, ein Raum-Licht-Erlebnis nach Wunsch maßzuschneidern. Da reicht es nicht, nur das Licht, seine Farbe, Intensität, Blendwirkung und andere Eigenschaften zu kennen. Ebenso ist die Wechselwirkung mit den Flächen im Raum

vorwegzunehmen – sie dienen je nach Material, Oberfläche und Textur als Lichtreflektor oder Lichtvernichter. Da sich all das darauf auswirkt, wie wir Räume wahrnehmen, folgert Ruth Günther: „Lichtplanung ist so gesehen auch Wahrnehmungsplanung.“ Wie etwa bei der Beleuchtung des Überlinger Rathaussaals. Sieben Jahre lang hatte man immer wieder Anläufe unternommen, die alten Messingleuchten aus den 70er Jahren und zwei Kronleuchter zu ersetzen – vergeblich wegen zu vieler Anforderungen: In dem dunklen Saal soll die Beleuchtung so hell sein, dass Standesbeamte oder der Gemeinderat arbeiten können; sie hat Veranstaltungen aller Art flexibel auszuleuchten, muss aber gleichzeitig dem Denkmalschutz Genüge tun, der im Übrigen nur ein Befestigungsloch in der jahrhundertealten Holzdecke zuließ. Und um die Raumwahrnehmung nicht zu trüben, sollen die Beleuchtungselemente möglichst hoch hängen. Die Quadratur des erwünschten Lichtkreises lösten die Günthers mit zwei maßgefertigten Halogenleuchtern. Die fügen sich nun unauffällig in den Saal ein. 24 Einzelstrahler liefern die gewünschte Lichtleistung, sind zu dimmen und ihr Licht lässt sich variabel ausrichten. Das Ergebnis mag am Ende logisch erscheinen. Ohne die Lichtplaner aber wäre die Leuchtensuche für den traditionsgeladenen Saal wohl noch voll im Gange. Dem aus Wuppertal stammenden Ehepaar, das sich vor 15 Jahren am Bodensee niedergelassen hat, kommt bei solchen Projekten zugute, dass Werner Günther seit drei Jahrzehnten Leuchten selbst entwirft und einst die Leuchtenfirma LFF in Solingen mitbegründete. In Zusammenarbeit mit seiner Frau entstehen neue Leuchten heute in Nesselwangen. Werkstatt, Atelier, Büro und Privatwohnung gehen hier nahtlos ineinander über. Das 15 Meter lange Flachgebäude – ein ehemaliger Hühnerstall, vom Vorbesitzer umgebaut – wird fast zu einer Art Showroom, in dem sich diverse Leuchten und Beleuchtungsvarianten im besten Licht präsentieren können.


Der Ideenreichtum im Hause Günther wird dem Besucher spätestens bewusst, wenn er Prototypen zu sehen bekommt, wie aktuell solche mit filigranen Strukturen, deren Blütenform erst 3D-Drucker herzustellen vermögen.

Das Atelier im Hause Günther präsentiert Kunst dezent beleuchtet, ohne den Betrachter zu blenden.
Das Atelier im Hause Günther präsentiert Kunst dezent beleuchtet, ohne den Betrachter zu blenden.

Getüftelt wird an Steh-, Pendel- und Schreibtischleuchten, welche ein Beleuchtungskonzept individuell ergänzen. Bestimmend dafür sind normalerweise aber Einbauleuchten. Ruth und Werner Günther bevorzugen Varianten mit einstellbarem Lichtkegel, die trotz bereits festgelegtem Wand- und Deckenaufbau funktionieren. Dank vorgeplanter Schaltmöglichkeiten lassen sich später vielfältige Beleuchtungsstimmungen erzeugen.

Ruth und Werner Günther in ihrer Werkstatt – die Experimentierfreude der Innenarchitekten mündet unter anderem in zahlreiche Leuchten- Prototypen.
Ruth und Werner Günther in ihrer Werkstatt – die Experimentierfreude der Innenarchitekten mündet unter anderem in zahlreiche Leuchten- Prototypen.

Die Lichtplanung à la Günther kennzeichnet, dass zwar alle Möglichkeiten, die der Bauherr oder Architekt haben möchte, vorab eingeplant werden und der Handwerker sie vorbereitet. Doch dem Bauherrn bleibt es überlassen, entweder die gesamten Beleuchtungskörper sofort zu installieren oder Schritt für Schritt vorzugehen. 

Vom Atelier über den Wohn- und Küchenbereich bis zur Werkstatt: Der Innenraum der beiden Lichtplaner wird zu einer Art Showroom des eigenen Schaffens.
Vom Atelier über den Wohn- und Küchenbereich bis zur Werkstatt: Der Innenraum der beiden Lichtplaner wird zu einer Art Showroom des eigenen Schaffens.
Geschickt verborgene LED-Leisten in einem Hotelflur vermeiden Blendeffekte und lassen die Gäste nicht in eine „Lichtfalle“ laufen.
Geschickt verborgene LED-Leisten in einem Hotelflur vermeiden Blendeffekte und lassen die Gäste nicht in eine „Lichtfalle“ laufen.

Das ist auch bei der Außenbeleuchtung ideal, so Ruth Günther: „Ein paar Leerrohre zu verlegen, ist kaum Aufwand, und wenn man sie nicht brauchen sollte, ist es kein Verlust.“ Zum Einsatz von Licht gäbe es noch viel zu sagen: Wie das exakte Maß an Licht an die richtige Stelle kommt, wann es sich lohnt, variables Licht einzusetzen, was im gewerblichen Bereich anders läuft oder warum der Mensch Lichtvernichter durchaus angenehm empfindet. Die Kunst der Lichtplanung besteht aber – kurz gesagt – wohl darin, die im Einzelfall passenden Fragen zu stellen und dann zum Objekt passende Beleuchtungsvorschläge zu erstellen, welche die Wirtschaftlichkeit nicht außer Acht lassen.
Über all das und konkrete Leuchtendesigns diskutieren die Günthers schon auch mal mit Koryphäen wie Peter Zumthor oder Christoph Ingenhoven. Und wie funktioniert die Zusammenarbeit mit Architektenkollegen? „Sehr gut, allerdings sind wir da oft eine Art Noteinsatzkommando, wenn es knifflig wird“, schließen die Günthers. Möglich ist das, weil sie sich nicht nur mit Lichtplanung auskennen, sondern selbst Innenarchitektur betreiben.


Artikel aus "ENTREE"

Text/Fotos: Wolfgang Scheide
www.lichtschatten.eu

Artikel aus "ENTREE", LEBEN UND WOHNEN AM SEE, 12. Ausgabe 2015
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